Die aufgeklärte Vorstellung, Gewalt sei ein Relikt, das durch Vernunft und Zivilisation überwunden werden kann, ist nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, kaum mehr haltbar. Es wird nun versucht, Gewalt als Teil der menschlichen Existenz zu akzeptieren, zu verstehen und nach ihren Organisationsformen und Inszenierungen zu fragen. Gewalt soll beherrschbar sein. Die Menschen sollen „sich in der Gewalt haben“.
„Ist überhaupt gewaltlose Beilegung von Konflikten möglich ?“ fragt der Philosoph Walter Benjamin und antwortet : „Ohne Zweifel. Die Verhältnisse von Privatpersonen sind voll von Beispielen hierfür. Gewaltlose Einigung findet sich überall, wo die Kultur des Herzens den Menschen reine Mittel der Übereinkunft an die Hand gegeben hat.“ (Walter Benjamin, Kritik der Gewalt, GW, 1980, Bd. II-1, S. 191)
In einer Rechtsordnung diene Gewalt zuerst als Mittel und nicht als Zweck. Ist Gewalt lediglich das Mittel in einer Rechtsordnung, so lassen sich Kriterien für diese Gewalt finden. Gefragt werden kann, ob Gewalt ein Mittel zu gerechten oder zu ungerechten Zwecken darstellt. (ebd. S. 179)
Dort, wo die Rechtsordnung ihre Durchsetzungsfähigkeit einbüßt und eine gemeinsame „Kultur des Herzens“ schwindet, kehrt die Gewalt in das Alltagserleben zurück. Leben wir in einer Phase der „Vernatürlichung des Menschen“ und der „Entmenschung der (zurück schlagenden) Natur“ ? (Nietzsche, Sämtliche Werke, München 1980, (dtv-Ausgabe), Bd. 9, S. 525
„Und da zieht er die linke Hand aus der Tasche … und drückt sitzend ab auf den ersten Schupo, der eben wütend auf ihn losstürzt. Krach. So haben wir alles auf Erden erledigt, so fahren wir in die Hölle mit Trompeten, mit Pauken und Trompeten.
Der Mann taumelt beiseite, Franz steht auf, er will an die Wand, sie rennen in Massen von der Tür ins Lokal. Das ist ja schön, alle rin. Er hebt den Arm, da ist einer hinter ihm, Franz wirft ihn mit der Schulter beiseite, da schmettert ihm ein Schlag über die Hand, ein Schlag über das Gesicht, ein Schlag über den Hut, ein Schlag über den Arm. Mein Arm, mein Arm, ich hab bloß einen Arm, sie schlagen mir meinen Arm kaputt, wat mach ich, sie schlagen mir tot, erst Miezen, dann mir. Hat alles keenen Zweck. Alles keenen Zweck, alles keenen Zweck.
Und taumelt neben dem Geländer nieder.
Und ehe er weiterschießen kann, neben dem Geländer hingetaumelt ist Franz Bieberkopf. Hat aufgegeben, hat verflucht das Dasein, hat die Waffen gestreckt. Liegt da.“ (Alfred Döblin, Berlin Alexanderplatz, 1929, S. 368)