Was kann die Liebe der Philosophie bedeuten ? Handelt es sich nicht einfach um ein wunder-schönes Gefühl ohne viele Worte, wertlos für rationale philosophische Verstandesarbeit ? Muss die Liebe für die Philosophie Sinn ergeben ? Kann sie sogar beschreiben helfen, was der liebende Mensch fühlt ?
Platons „Symposium“ erzählt von den Kugelmenschen, die aufgrund unbotmäßigen Verhaltens von Zeus entzwei geschlagen wurden, wodurch die zweibeinigen Mängelwesen entstanden sind, die allsdann die Welt bevölkerten. Trotz einiger kosmetischer Eingriffe prägt die Mängelwesen bis heute das wirkliche Begehren nach vollkommener Wiedervereinigung, die Widerherstellung der ursprünglichen Einheit.
Der Liebende, sagt der russische Religionsphilosoph Wladimir Solowjew, legt sein “ganzes Lebensinteresse” in das Sein des Geliebten und sucht so mit dem Geliebten eins zu werden. (Solowjew, Der Sinn der Liebe, Hamburg, 1985)
Die Liebenden erkennen sich im Anderen, finden in ihm ihr eigenes wesentliches Selbst wieder. Sie können als Liebende sie selbst sein. Der deutsche Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel gibt der Liebe eine höhere Bedeutung :
“Jedes weiß [in der Liebe] unmittelbar sich im anderen, und die Bewegung ist nur ihre Verkehrung, wodurch jedes erfährt, dass das andere sich ebenso in seinem Andern weiß (Jenaer Systementwürfe III, 1805-1806, GW: 8,210) … [Die Liebe ist] “eine sich empfindende Einheit, […] so dass die Gesinnung ist, das Selbstbewusstsein seiner Individualität in dieser Einheit als an und für sich seiender Wesentlichkeit zu haben.” (Grundlinien der Philosophie des Rechts, § 158, 1821)
Liebe bedeutet die Hinwendung und Zuwendung zum Anderen, dem Wertschätzung, Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit ohne Grenzen geschenkt werden. Gilt dies heute noch, in Zeiten der Dating Apps, der rasch austauschbaren Beziehungen? Oder erzwingt der modernen Hyper-Individualismus neue Verbindungsmythen, gar Liebe ohne Verbindung?
Für den Dichter der Moderne, Rainer Maria Rilke, befindet sich der Mensch in einem Urzustand der Einsamkeit, ein für ihn idealer Zustand, um ungestört vom Lärm der Welt zu sich selbst zu kommen. Rilkes Liebesideal ist das ausdauernde „Nebeneinanderwohnen“, bei dem die Liebenden „die Weite zwischen sich (…) lieben, die ihnen die Möglichkeit gibt, einander immer in ganzer Gestalt und vor einem großen Himmel zu sehen.“ Rilke formuliert damit eine moderne Absage an den Kugelmenschen und eine Einladung die Andersheit des anderen, den erkennenden Abstand, als Fundament der Gemeinsamkeit, einer Liebesbeziehung, zu leben. Die Hyper-Individualisten unserer Zeit erhalten eine letzte Chance …
Liebe ist die Stifterin einer höheren Einheit über der durch das Denken und Handeln in Subjekt und Objekt, die Zweisamkeit von Sinnlichkeit und Verstand, aufgespaltenen Welt.
“Ich sehe dich in tausend Bildern,
Maria, lieblich ausgedrückt,
doch keins von allen kann dich schildern,
Wie meine Seele dich erblickt.
Ich weiß nur, dass der Welt Getümmel
Seitdem mir wie ein Traum verweht,
Und ein unnennbar süßer Himmel
Mir ewig im Gemüte steht.” (Novalis)
In der Liebe wird die Einheit mit einem Anderen erfahrbar und lebenswert. Wenn die Gefühle siegen, schweigen die Zwecke. Dann schweigt am Ende auch die Philosophie.