Vom Weben der Sprache – Gendern ein „einförmiges Haus“?

Gespräch

Das vorreflexive Denken versteht unter Sprache das Abbilden von Gegenständen in Worten. Dem entspricht tatsächlich das kleinkindliche Erlernen von Sprache, wenn Eltern auf einen Gegenstand zeigen und dem Kind das Wort vorsprechen, das den Gegenstand abbilden soll. Der Sprachphilosoph Ludwig Wittgenstein nennt diesen primären Lernvorgang auch „Abrichten“. (Philosophische Untersuchungen / PU, § 5) Der Fremdsprachenerwerb in Schulen beginnt jedes Mal auf diese Art.

In der komplexen Wirklichkeit gelebten menschlichen Lebens ereignet sich Sprache anders. Es sind nicht nur bereits die Sprachregeln (Grammatik), die weit über das gegenständliche „Abrichten“ hinausweisen und einzelnen Begriffen und Wendungen vielerlei Verwendungen ermöglichen. Immer kommt es auch auf die Situation an, in der Worte, Wortarten, Redewendungen, Sprache von einem Menschen angewandt werden, etwas bedeuten.

Für Wittgenstein sind mentale Prozesse, wie Denken und Meinen, Teil einer konkreten (sprachlichen) Tätigkeit inmitten einer komplexen gewachsenen Umwelt, einer Lebensform. (PU, § 23) Die Lebensform, in der das Sprechen überhaupt stattfindet, ist die Verflechtung von Kultur, Weltsicht und Sprache: Sprache, Kultur und Weltsicht werden gebildet durch sich wandelnde Muster gemeinschaftlicher Tätigkeit. “Und ein Muster ist im Teppich mit vielen anderen Mustern verwoben.” (Zettel, 569.)

„Nur im Fluss des Lebens haben die Worte Bedeutung.“ sagt Ludwig Wittgenstein (Letzte Schriften über die Philosophie der Psychologie, § 913)

Substantive wie Schmerz, Denken, Meinen lassen uns im ersten Anschein weiter zuerst nach Dingen suchen, die dem entsprechen. Was aber ist „das Meinen“? Tatsächlich meint das Meinen des Menschen immer kontextgebundene mentale Prozesse, die sich nicht verdinglichen lassen. Die Bedeutung eines Wortes kann schon sprachlogisch nie der Gegenstand selber sein, für den es zu stehen scheint.

Von etwas eine Meinung zu haben, ist also erkennbar ein wenig verallgemeinerbarer, hoch individueller Vorgang. Unsere Sprachspiele sind eingebettet in diese individualisierte Lebensform im Gesamtzusammenhang der Tätigkeiten einer Sprachgemeinschaft. Es gibt nur „Familienähnlichkeiten“ zwischen den menschlichen Sprachspielen – identisch sind sie nie. Man kann auch in der Sprache die Regeln nicht über das Leben selber stellen. Dann funktionieren entweder die Regeln oder das Leben nicht mehr.

„Unsere Sprache kann man ansehen als eine Stadt: Ein Gewinkel von Gässchen und Plätzen, alten und neuen Häusern, und Häusern mit Zubauten aus verschiedenen Zeiten; und dies umgeben von einer Menge neuer Vororte mit geraden und regelmäßigen Straßen und mit einförmigen Häusern.“ (PU, § 18)

Es entstehen immer wieder neue Sprachanwendungen und Redewendungen, die neu wachsende Lebensformen beispielsweise von jungen Migranten „krass“ einzigartig, vielleicht sogar „nice“ zum Ausdruck bringen. Sprache ist lebensnotwendig voller Ungereimtheiten. Erst dadurch wird sie schön, da sie in die Lebenswelten der Menschen hinein zeigt.

Anders verhält es sich mit den abstrakten Zeichen und formalisierten Redewendungen der neuen Gender-Sprache. Der Stern in Lehrer*innen macht nichts sichtbar als den Stern, ein Zeichen ohne gewachsene sprachliche Bedeutung, wohl aber mit einem aufgesetzten abstrakten Bedeutungsinhalt: die Standard-Sprache der Deutschen solle dadurch „sensibel“ werden: für mehr Frauengleichberechtigung und weitere Geschlechter. (1)

Gendern stellt so wohl den Versuch einer Verdinglichung moralischen Meinens („Sensibilität“ für andere Geschlechter = Sternchen) dar. Um diese Verdinglichung moralischen Meinens zu erreichen, werden neue Zeichen und Sprachformen der Sprache aufgesetzt – ein recht „einförmiges Haus“. Ist diese neue Sprachpraxis nicht sehr nah am ursprünglichen „Abrichten“? Familienähnlichkeiten zwischen der gesprochenen und wachsenden Sprache der Bevölkerung, ihrer „Lebensform im Fluss des Lebens“, und den Befürwortern der Gender-Sprache, einer eigenen Sprachgemeinschaft in ihrem „Haus“, lösen sich auf. Der Sprachteppich, der eine Gesellschaft traditionell zusammenhält, franst so aus und erzeugt Webfehler und Löcher im Miteinander der Menschen.

Wie stehen die Genderbefürworter zum abweichenden Meinen ?

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(1) Sollten wir nicht einen Schritt nach vorn machen und annehmen und es wertschätzen, dass sehr viel erreicht wurde? Dass man aber auch zu weit gehen kann:

Die Nutzung des Gendersternchens bezweckt, dass beide Geschlechter gleich stark wahrgenommen werden sollen. Eine Untersuchung von Psycholinguisten der Unis Kassel und Würzburg zeigt das Gegenteil. Die Forscher haben rund 600 Probanden Sätze mit drei verschiedenen Genderformen „Autor*innen“, „Autoren“ sowie „Autorinnen und Autoren“ vorgelegt. Dazu zeigten sie einen zweiten Satz, in dem entweder von Männern oder von Frauen die Rede war. Die Probanden verknüpften die Form mit dem Gendersternchen öfter mit Frauen. Das Problem der Ungleichbehandlung wird durch den Gebrauch des Sterns also nicht gelöst. (faz.net) In der Entwicklung junger Menschen werden durch das Gendern Kinder, Jungens benachteiligt.