„Krieg ist von allem der Vater, von allem der König, denn die einen hat er zu Göttern, die anderen zu Menschen, die einen zu Sklaven, die anderen zu Freien gemacht.“ Heraklit (* um 520 v.Chr. + um 460 v. Chr.)
Vom Beginn der Befassung der Menschen mit dem Gegensatz von Krieg und Frieden galt der Frieden als die von den Göttern ermöglichte Unterbrechung des kriegerischen Normalzustandes (auch: Homer, Odyssee, 24.). Der Krieg stellte, von allen anerkannt, die Fortsetzung einer Konfliktaustragung mit gewaltsamen Mitteln dar. Der menschengemachte Friedens erhielt seine stärksten Impulse erst aus der christlichen Heilsbotschaft, die sich als Verkündigung des Friedens zwischen allen Menschen verstand und versteht (siehe etwa in der Bibel, Brief der Epheser 6, 15). „Er [Jesus] kam und verkündete den Frieden: euch, den Fernen, und uns, den Nahen.“ (Brief der Epheser 2, 17)
Seitdem ist der Friede als Abwesenheit gewaltsamer Auseinandersetzungen – seit Rousseaus „Contrat social“ zwischen Staaten – als Ziel auch der Philosophie gesetzt; allerdings in unterschiedlichen Gewichtungen: Wie können Gewalt und Krieg vermieden werden oder ist der gerechte Krieg (gegen Ungläubige) erst der Weg zum Frieden, oder kann ein Krieg erlittenes Unrecht wieder ausgleichen? Ist der Krieg sogar legitimer Garant einer inneren Ordnung, eines mittelbaren Strebens nach Frieden wie bei Machiavelli?
Immanuel Kant gab in seiner 1795 erschienenen Schrift „Vom ewigen Frieden“ dem Frieden eine rationale, praktische Grundlegung und knüpfte ihn an bestimmte politische Maßnahmen zur Friedenssicherung: eine republikanische Verfassung für alle Staaten, Abschaffung stehender Heere u.a.. In der deutschen Romantik entfernte sich die Friedensidee und sein Erreichen wieder von der rationalen Basis. Novalis äußerte 1799 in seinem Fragment „Die Christenheit oder Europa“: eine „heilige Zeit des ewigen Friedens“ werde anbrechen, „wo das neue Jerusalem die Hauptstadt der Welt sein wird.“ (Novalis, Fischer, 2015, S. 471) Daran glaubten in der Romantik viele gebildete Deutsche.
Der preußische General Carl von Clausewitz (in: Vom Kriege, 1832-1834) sah in der kriegerischen Auseinandersetzung eine zeitlose Natur wirken: Er legte dem Krieg das Bild eines Kampfes zweier Ringender zugrunde. Der Krieg sei ein dauerhaftes Phänomen, ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung des eigenen Willens zu zwingen. Im Krieg rüsten sich beide Gegner mit den Erfindungen der Künste (heute: Informationskrieg) und der Wissenschaften (heute: Raketen im Überschallbereich), um die Gewalt besser kommunizieren und optimieren zu können. Zugleich ist für Clausewitz der Krieg stets politisch und nie losgelöst von einem politischen Zweck zu betrachten – insoweit rational. Die blutige Entladung einer Krise, das Streben nach Vernichtung der feindlichen Streitmacht soweit, dass sie den Kampf nicht fortsetzen kann, wehrlos wird, soll zugleich die eigenen Kräfte, die eigene politische Bedeutung und Wertigkeit steigern.
Mit den Erfahrungen, den Schrecknissen des 1. Weltkrieg wurde auch der Glaube an einen „ewigen Frieden“ nach Jahrzehnten der rasanten zivilgesellschaftlichen Aufwärtsentwicklung in Europa und Amerika grundlegend erschüttert. Nun wurde die Erhaltung des Friedens, das allgemeine Gewaltverbot, formal zur obersten Rechtspflicht der Staaten erklärt (Art. 11-13 der Völkerbundsatzung, übernommen nach dem 2. Weltkrieg in die Satzung der Vereinten Nationen). Art. 2, Ziffer 4 der Satzung der Vereinten Nationen verbietet den Staaten jede Gewaltanwendung, sogar jede Gewaltandrohung. Krieg ist damit formal und endgültig kein erlaubtes Mittel der Politik mehr. Nur das Recht auf kollektive Selbstverteidigung besteht fort. In Zeiten von atomaren Massenvernichtungsmittel sollte es eigentlich nur so sein können, dachten wir.
Der Frieden stellt sich nicht von selbst ein, wie wir im Jahr 2022 durch den Angriffskrieg des russischen Regimes gegen das ukrainische Volk erfahren. Den Frieden müssen wir durch konkrete Maßnahmen und bewusste Anstrengungen erhalten, ja auch erkämpfen, sonst entscheidet der Krieg, wer zum „Sklaven“ und wer zum „Freien“ wird. Gewalt und Krieg kann man offensichtlich nicht nur durch Verträge auf Dauer abschaffen. Das romantische Jerusalem ist nicht von dieser Welt. Der Mensch bleibt der, der er ist.(1) Und wir fragen uns: Handelt der russische Präsident Wladimir Putin in der Ukraine rational, zur Erreichung von machtpolitischen Zielen? Dann wird er keine Atomwaffen einsetzen.
(1) Siehe bspw. Freud, Siegmund: Zeitgemäßes über Krieg und Tod (1915): „Die psychologische – im strengen Sinne die psychoanalytische – Untersuchung zeigt vielmehr, dass das tiefste Wesen des Menschen in Triebregungen besteht, die elementare Natur, bei allen Menschen gleichartig sind und auf die Befriedigung gewisser ursprünglicher Bedürfnisse zielen. … Er [der Krieg] streift uns die späteren Kulturauflagerungen ab und lässt den Urmenschen in uns wieder zum Vorschein kommen.“