Arbeit und Glück?
Arbeit kann unglücklich machen. Keine Arbeit aber macht noch unglücklicher. Wer arbeitslos ist, empfindet sein Leben generell als negativer, schreiben die Autoren einer Studie.[1] Männer leiden mehr darunter als Frauen. Arbeit, so nervig sie manchmal sein kann, gibt dem Alltag eine Struktur, ein Ziel, wir fühlen und weniger isoliert. Schon die Gefahr, den Job zu verlieren, kann dem Glücksempfinden schaden. Wer einmal arbeitslos war, bleibt außerdem länger unglücklicher, selbst wenn er eine neue Stelle hat.
Die meiste Zeit unseres wachen Lebens verbringen wir mit Arbeit. Abschaffen können wir sie wohl nicht. Wenn wir aber wissen würden, was uns auf der Arbeit glücklich macht, dann könnte unser Leben generell zufriedener verlaufen …
Historie und Entwicklung von Arbeit
Seit Beginn der Humanevolution war Arbeit wesentlich für die Menschwerdung und prägend für die menschliche Existenz. Über Jahrtausende bestimmten Jagd, Fischerei, Nahrungs-sammlung, Viehzucht, Ackerbau sowie das damit verknüpfte Handwerk und der Handel eine weitgehend stabile Arbeitswelt. Wandlungsprozesse dieser Welt vollzogen sich zwar vor allem mit dem Aufkommen von Städten in Antike und Mittelalter.
Doch erst mit der Industrialisierung, dem durch Maschinenkraft und Kapital bestimmten Übergang zur industriellen Produktionsweise, veränderte sich die Welt der Arbeit seit dem frühen 19. Jahrhundert grundlegend. Diese Umgestaltung – Arbeitsteilung zwischen Menschen, zwischen Menschen und Maschinen – erfasste das wirtschaftliche, soziale und politische Leben insgesamt und bestimmt ungeachtet zahlreicher Wandlungen des Industrie-kapitalismus bis heute die entwickelten Gesellschaften: Die Menschen produzieren ab jetzt, erläuterte der Philosoph GWF Hegel 1830, Güter und Dienstleistungen vornehmlich für andere, um die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. So erwirtschaften sie in wechselseitiger Abhängigkeit Besitz und Subsistenz (Lebensunterhalt) als Grundlage der Selbstbestimmung.[2]
Digitalisierung und Künstliche Intelligenz stellen einen neuartigen Entwicklungsschub dar. Erstmals scheint menschliche Arbeit in vielen Bereichen grundsätzlich zu einer nachrangigen Angelegenheit zu werden. Sie verliert ihre Rolle als Produktionsfaktor.
Was ist Arbeit – Arbeit nach Karl Marx [3]
Arbeit ist, nach Karl Marx, in doppelter Hinsicht ein expressiver Akt : Zum Einen projiziert der Mensch in ihr seine inneren Kräfte und Eigenschaften nach außen und gibt ihnen im (Werk-)Stoff eine Gestalt. Zum Anderen aber werden seine Eigenschaften selber durch die Art seiner Arbeit erzeugt. Die Arbeit verbindet ihn mit den anderen Menschen und seiner natürlichen Umgebung.
Der Mensch setzt in der Arbeit nicht nur seine Kraft ein, sondern entwickelt sich in ihr. Seine Bedürfnisse und Fähigkeiten sind Produkte seiner Arbeit. Der Mensch ist, was er arbeitet. Die Art der alltäglichen Arbeit – körperlich oder geistig, verwaltend oder kreativ – bringt bestimmte Menschenbilder hervor.
Arbeit bildet.
Da dies für alle Menschen gilt und diese in – arbeitsteiligen – Gesellschaften zusammen leben, werden in der Arbeit allgemeine Menscheneigenschaften und -möglichkeiten sichtbar und verwirklicht. Arbeit ist, so Marx, immer auch eine gesellschaftliche, soziale Tätigkeit – auf der jeweiligen Entwicklungsstufe der Technik [Produktivkräfte]. Die Menschengemeinschaft ist auch Ausdruck der Entwicklungsstufe der Technik.
“Die Arbeit ist zunächst ein Prozess zwischen Mensch und Natur, ein Prozess, worin der Mensch seinen Stoffwechsel mit der Natur durch seine eigne Tat vermittelt, regelt und kontrolliert. Er tritt dem Naturstoff selbst als eine Naturmacht gegenüber. Die seiner Leiblichkeit angehörigen Naturkräfte, Arme und Beine, Kopf und Hand, setzt er in Bewegung, um sich den Naturstoff in einer für sein eigenes Leben brauchbaren Form anzueignen. Indem er durch diese Bewegung auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigne Natur. Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eigenen Botmäßigkeit.” (Kapital, Bd. 1, S. 92)
Der Mensch muss sich, um leben zu können, mit den Dingen auseinandersetzen, um sie seinen Zwecken gemäß umzuwandeln. Während er das – kollektiv – tut, zwingt er ihnen seine Ideen auf. Er wird folglich in seiner menschlichen Umgebung reflektiert: sie ist seine schöpferische Leistung.
Digitalisierung und Künstliche Intelligenz
Was passiert nun in einer Gesellschaft, der durch die Technologisierung der Arbeitsprozesse im digitalen Zeitalter die körperliche Arbeit auszugehen scheint? Wenn, nach Marx, zualler-erst Arbeit Sinn macht, wird die menschliche Existenz dann sinnlos? Die Mitglieder unserer Wohlstandsgesellschaft, die sich in den kollektiven Arbeitsformen mehr als Individuum, denn als Kollektiv wahrnehmen, müssten wohl zunächst ein neues Selbstverständnis entwickeln, um soziale (ehrenamtliche), Familien- oder Bürgerarbeit als gleichwertige Formen von Arbeit an-zuerkennen. Muss damit der ausschließlich ökonomisch-instrumentelle Arbeitsbegriff über-wunden werden?
Hannah Arendt differenziert (gegen Marx) und unterscheidet zwischen Arbeit (die Menschen sichern ihr Überleben in der Produktion von Lebensmitteln), Herstellen (dauerhaftes Erstellen von Gegenständen, Kleidung, Behausungen bis zu Kunstwerken) und Handeln (im Handeln ge-stalten, verhandeln die Menschen öffentlich, jeder Einzelne, die Pluralität des Zusammenlebens als politische Tätigkeit). Sie eröffnet damit Räume über den ökonomisch-instrumentellen Arbeitsbegriff hinaus.[4]
Auch entstehen neue, digitale Arbeitsplätze, nicht mehr physischer, sondern kognitiver Art, die mindestens Teile der frei gesetzten Arbeitskraft aufnehmen könnten. Der Werkstoff des digitalen Zeitalters sind die Informationen der User, der Arbeiter wird zum Datensammler und Dateningenieur. Welche Menschen formt diese Arbeit? Welche Gemeinschaft, Gesellschaft bilden die digitalen Arbeiter?
Was also ist Arbeit – für uns heute ? Welche Form von Arbeit macht uns glücklich?
[1] Jan-Emmanuel De Neve und George Ward, Happiness at Work, CEP Discussion Paper No 1474, March 2017
[2] Hegel, GWF. Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften (1830), § 524. „Die damit zugleich abstraktere Arbeit führt einerseits durch ihre Einförmigkeit auf die Leichtigkeit der Arbeit und die Vermehrung der Produktion, andererseits zur Beschränkung auf EINE Geschicklichkeit und damit zur unbedingten Abhängigkeit von dem gesellschaftlichen Zusammenhange. Die Geschicklichkeit selbst wird auf diese Weise mechanisch und bekommt die Fähigkeit, an die Stelle menschlicher Arbeit die Maschine zu setzen.“ Hegel, § 526
[3] Nicht eingehen möchte ich auf die marxsche Arbeitswerttheorie, da überall zu erkennen ist, das die menschliche Arbeit ihre zentrale Rolle als Wertmaßstab in der Wertschöpfung weitgehend an Technikentwicklung u.a. abzugeben scheint. In den neuen Formen der durch Wissenschaft vermittelten Arbeitsteilung zwischen Maschinen und Computern taucht der Mensch oft gar nicht mehr auf (oder als reines Wartungspersonal). Es bleibt der für sich stehende „Gebrauchswert“ der Arbeit, dort, wo sie anfällt: Arbeit bleibt „spezielle, zweckmäßige produktive Tätigkeit“, die „besondere Naturstoffe besonderen menschlichen Bedürfnissen assimiliert, … als eine von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen, um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu vermitteln.“ MEW 4 (1959), S. 57
[4] Freiheit wird erst in der dritten Form menschlicher Tätigkeit wirklich: im Handeln. Es spielt sich „ohne Vermittlung von Materie, Material und Dingen zwischen Menschen“ ab (Arendt; Vita activa oder vom tätigen Leben, München 1981, S. 14). Seine Grundbedingung ist die Pluralität der Menschen, aus der zugleich das Problem des Zusammenlebens resultiert. – das spezifisch politische Problem. Im Handeln gestalten die Menschen dieses Zusammenleben; es ist daher die politische Tätigkeit schlechthin. Handeln in diesem Sinne kann sich nur in der Öffentlichkeit vollziehen; Im Erscheinungsraum des Öffentlichen treten Menschen einander gegenüber, geben sich zu erkennen und offenbaren ihre Einzigartigkeit. Öffentlichkeit ist damit auch die Sphäre in der sich Lebens-sinn bildet. Freiheit liegt im Handeln selbst, denn kein Handeln ist vorbestimmt, und in jedem Akt zeigt sich die Spontaneität des Anfangs. Freiheit existiert also nur in Freiheit und Pluralität – dort, wo die Menschen ihr Zusammenleben gestalten. Daraus folgt auch die Unentbehrlichkeit bürgerlicher Freiheitsrechte (wie Versammlungs- und Demonstrationsrecht) für jede freiheitliche Ordnung.

Licht und Schatten