Gelassenheit

Heide GelassenheitHeide Gelassenheit

Im Alltäglichen sehnen wir uns oft nach mehr „Ruhe und Gelassenheit“. Was aber ist diese Gelassenheit? Mehr als nur Innehalten, Stillstand, Abwesenheit von innerer Bewegung? Mehr als stoische Selbstvergewisserung? Wann bin ich gelassen?

Für Meister Eckhart (* um 1260,  † 1328) stand wie für alle Denker seiner Zeit das Gelassensein in einer unmittelbaren Beziehung zu Gott. Gelassensein galt für ihn als „das Fahrenlassen des Eigenwillens zugunsten des göttlichen Willens.“ Der Mensch musste bei den „Mystikern“ das „Kreatürliche“ verlassen, seinen eigenen Willen aufgeben, ganz leer werden, um bei, mit Gott zu sein. Eine Form von Meditation.

Spätestens im 19. Jahrhundert verlor der Begriff seine religiöse Bedeutung. Für Arthur Schopenhauer war die Gelassenheit jene Bewusstseinslage, in der der Mensch sich in die Reflexion zurück gezogen, sich in stoischer Ruhe von den Äußerlichkeiten getrennt hat. Alles, was geschieht, geschieht notwendig. Zurücklehnen mit einem guten (philosophischen) Buch in der Hand … Ist das mehr, als es sich in einem statischen Gedankengebäude einfach und bequem zu machen?

Und Heute? Was macht uns heute gelassen? Wir sind umstellt von technischen Apparaturen, Produkten naturwissenschaftlichen, ökonomischen Denkens.  Wir denken nicht nur beruflich, sondern auch privat in und durch Smartphones, Apps usw.. Reicht es aus, wenn wir das Smartphone ausschalten, nicht streamen, um gelassen zu sein? Oder: Ist es inzwischen gar zu spät für Gelassenheit?

Martin Heidegger hat 1955 lange vor Digitalisierung, Social Media, Künstlicher Intelligenz, in seinem Aufsatz „Gelassenheit“ auf die Vereinnahmung der Menschen durch die „technischen Gegenstände“, den Ergebnissen des nur „rechnenden Denkens“, hingewiesen. Deren weitere Durchdringung der menschlichen Lebenswelten hielt er schon damals für unausweichlich.

Heidegger meinte, wenn man nur noch plant, rechnet und arbeitet, kommt man nicht mehr zur Besinnung darüber, wozu man jenes, was man schafft und tut, eigentlich macht. Man verstrickt sich in rastloser Tätigkeit, ohne jemals zur Ruhe zu kommen, kommen zu können. Stehen wir heute und seit langem schon da?

Das gelassene Denken, das ihm vorschwebt, mit dem man wieder zum Eigentlichen vordringt, macht oder bewirkt selber nichts. Es kann nicht angewandt oder in Taten umgesetzt werden. Dieses „nutzlose“, zwar wache und betrachtende, aber nicht rechnende Denken hat seine eigene Bedeutung: „Denn im Denken“, so Heidegger, „wird die Einsicht in das, was ist, freigegeben …“ Es nützt uns selbst.

Heidegger selber spricht in diesem Zusammenhang vom „besinnlichen Denken“, das als gelassenes oder „lassendes“ Denken das rechnende, eingreifende Denken der Wissenschaft und der Technik sein lässt, es ergänzen, nicht ersetzen soll. Er sagt, „Die Wissenschaft denkt nicht.“ Und meint damit, dass die erfassten Naturgesetze durch die Wissenschaft zwar beschrieben werden. Was aber das Beschriebene (für den Menschen) ist oder warum es ist, kann sie nicht sagen. Das Nach-Denken oder „besinnliche Denken“ hin zum Eigentlichen steht neben dem „rechnenden Denken“ der Naturwissenschaften.

Nur das „besinnliche Denken“ (über die technischen Gegenstände) führe uns zu „neuem Grund und Boden“. Um die „Gelassenheit zu den Dingen und die Offenheit für das Geheimnis [des Seins] und der Technik“ zu erhalten oder zu gewinnen, gilt es für Heidegger, das „Nachdenken (über die Dinge und das Geheimnis der Technik) wach“ zu halten. Wir müssen die Technik, die Umgebungsapparaturen, befragen, Fragen stellen. Es geht um dieses fragende Denken (nicht um abschießende Antworten), das zum Grund durchdringen und ihn durch-schauen will – auch dann, wenn es dort möglicherweise nicht ankommt. [1]

Unter dem „Geheimnis“ versteht Heidegger nicht etwa ein Geheimwissen, über das sonst niemand verfügt, nichts Esoterisches. Vielmehr zeigt es auf das uns Bekannte, das Vertraute, ja das „Heimatliche“. „Geheim“ bedeutet ursprünglich auch: vertraut, auf das eigene Heim bezogen. Die „Offenheit für das Geheimnis“ verweist daher auf das Offensein für das, was einem (immer schon) vertraut (gewesen) ist, für das, was sich hier und heute konkret zeigt (unsere Freunde und Familie, das Stück Heimat auf dem wir aufgewachsen sind). Im besinnlichen Denken nähern wir uns dem Vertrauten, denn natürlich ist bspw. eine Whatsapp-Gruppe mit Freunden oder in der Familie etwas Vertrautes. Darüber kann man reden.

„Wir lassen die technischen Gegenstände in unsere tägliche Welt herein und lassen sie zugleich draußen, d.h. auf sich beruhen als Dinge, die nichts Absolutes sind, sondern selbst auf Höheres angewiesen bleiben. Ich möchte diese Haltung des gleichzeitigen Ja und Nein zur technischen Welt mit einem alten Wort nennen: die Gelassenheit zu den Dingen.“[2]

In bewegten Zeiten suchen wir nach Gelassenheit. Philosophisches Denken ist gelassenes Denken.


[1] Auch Sokrates hat der Offenheit und Unsicherheit des Fragens eine viel größere Bedeutung zugesprochen als dem Antworten und dem Anspruch, über etwas endgültig Bescheid zu wissen.

[2] Heidegger, Martin, Gelassenheit, Verlag Karl Alber, München, 2014, S. 23